Impuls zum 31. März 2024
Von Susanne Warmuth (Aschaffenburg) – Geistliche Beirätin pax christi Würzburg
Einen Text zu Auferstehung schreiben?
Es ist für mich immer eine Herausforderung, einen Text zu Ostern zu verfassen. Weniger schwer fällt es mir, über die Themen Leid, Ungerechtigkeit, Scheitern und Tod zu schreiben. Warum? Jeder Mensch hat schon Erfahrungen gemacht mit diesen schweren Themen, kennt die Reaktionen und Gefühle, die sich dazu einstellen, und kann Aussagen dazu (wenigstens ansatzweise) nachvollziehen. Aber jemanden durch ein (geschriebenes) Wort einladen zu wollen, auf einen Neubeginn zu vertrauen, auf ein Ostern zu hoffen – das ist ungleich schwieriger. Gerade dann, wenn die Person momentan in einer dunklen inneren Situation gefangen ist.
Da ist es wichtig, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die selbst erlebt haben, dass nach Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ein Neubeginn folgen kann.
Von zwei starken Frauen will ich heute schreiben, die für mich beide eine Zeugin der Hoffnung sind, sie kommen aus unterschiedlichen Zeiten und Kontexten. Sie sahen die Möglichkeit für einen Neubeginn und für ein Weiterleben trotz schmerzlicher Erfahrungen und durchlittener Hoffnungslosigkeit.
Evangelium – Joh 20, 1- 18 (hier Joh 20, 1-2, 11-18)
Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben. …
Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. Diese sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen. Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.
Maria von Magdala – Ein Ruf genügt
Als Maria von Magdala in der Frühe des ersten Tages zum Grabe Jesu kam, da war es nicht nur um sie herum noch dunkel. Auch in ihrem Innern herrschte eine einzige Dunkelheit. Es war keine Hoffnung mehr in ihr. Mit dem Tod Jesu war alles aus und vorbei.
Trotzdem sucht sie Jesus, wenigstens seinen Leichnam. Sie sucht Jesus in der Vergangenheit, bei den Toten. Maria ist an diesem Morgen noch ganz rückwärts gewandt, überwältigt und eingeschlossen von ihrem Schmerz und ihrer Trauer. Deshalb kann sie Jesus nicht erkennen, als er nun vor ihr steht.
Maria – so ruft er sie an. Nur diesen Namen nennt er. Der Klang seiner Stimme, ihr Name - sie ist gemeint. Und daran erkennt sie Jesus. Dieser eine Ruf, er öffnet ihr Herz und ihre Augen.
Für den Bruchteil einer Sekunde hofft Maria, dass alles wieder so werden wird, wie es einmal war. Jesus wieder in der Mitte der Freunde. So als hätte es die Tage der Kreuzigung und den Tod nicht gegeben. Jesus reißt Maria aus ihren Träumen. „Halte mich nicht fest“ – hart klingt seine Zurechtweisung. Es muss für Maria noch einmal sehr schmerzlich gewesen sein, den Freund und ihre Vorstellungen von der Zukunft aus Neue loszulassen.
Zweimal heißt es im heutigen Evangelium, dass Maria sich umgedreht hat. Es ist jedes Mal eine Wende weg von der Vergangenheit. Zunächst ist sie rückwärtsgewandt und sucht nach dem Verlorenen. Von Jesus angerufen, dreht sie sich um. Da erkennt sie den Auferstandenen.
In der Begegnung mit ihm erfährt Maria den Schmerz, dass das Alte vergeht, dass das Vergangene nicht wiedereinholbar ist, und dass nur so das Neue sich ereignen kann. Maria hat nur einen Ruf vernommen. Aber dieser Ruf hat genügt. Sie hat sich „umgewendet“ und ihr Leben hat sich verändert.
Manchmal genügt ein Ruf, manchmal genügt ein Augenblick.
Manchmal genügt ein Augenblick
Manchmal genügt ein kleines Licht,
und ich sehe die Sonne zur Mitternacht.
Manchmal genügt ein Regentropfen,
und ich schöpfe Wasser aus loderndem Feuer.
Manchmal genügt eine Träne,
und das Meer fließt über.
Manchmal genügt ein Wort,
Und Mauern weichen zurück.
Manchmal genügt ein Schweigen, und ich höre
die Stimme meines Herzens deutlich
wie die eines Bruders.
Manchmal genügt eine Blume,
und ich begreife den Himmel.
Manchmal genügt ein Augenblick,
Und ich weiß,
daß ich nicht für den Tod geschaffen bin.
Wolfgang Poeplau 1)
Unsere Pilgerreise nach Ausschwitz
Anfang März war ich mit der pax christi-Gruppe in Auschwitz und anderen Orten in Polen unterwegs. In mir tauchte die Frage auf: Kann ich meinen geplanten Impulstext über Maria von Magdala so überhaupt schreiben? Ist es nicht naiv, angesichts des grauenvollen Leidens, das in Auschwitz geschehen ist, vom Überleben der Hoffnung zu schreiben? Ist es realitätsfern zu glauben, dass manchmal ein Augenblick genügt, und ich weiß, „dass ich nicht für den Tod geschaffen bin“?
Auf der Reise hörte ich dann den Mitschnitt eines Konzerts mit Esther Bejarano. Sie singt dabei das Lied „Wir leben ewig“. Diese Worte von ihr zu hören, das hat mich tief beeindruckt.
Ester Bejarano – Wir leben ewig, wir sind da
Esther Bejarano wurde 1924 in Saarlouis als Kind einer jüdischen Familie geboren. Sie kam 1943 ins Konzentrationslager nach Auschwitz. Auf Grund ihres musikalischen Talents wurde sie ins Mädchenorchester aufgenommen und überlebte so die Zeit im KZ. Nach dem Krieg wanderte sie nach Palästina aus und kehrte 1960 nach Deutschland zurück.
Ihre Aufgabe sah sie danach als Kämpferin gegen Rassismus und Antisemitismus. Sie besuchte viele Schulen, um den Jugendlichen ihre Erfahrungen in der NS-Zeit zu schildern.
Die große Leidenschaft von Esther Bejarano galt weiterhin der Musik. Sie gehörte verschiedenen Bands an und trat bis ins hohe Alter bei Konzerten auf. 2021 starb sie mit 96 Jahren. Internet-Videos zeigen sie bei ihren Auftritten. Voller Energie, mit großer Überzeugung und einer beeindruckenden Ausstrahlung singt sie ihre Botschaft.
Wir leben ewig, es brennt die Welt.
Wir leben ewig, in jeder Stunde,
wir wollen leben und erleben,
schlechte Zeiten überleben…
Wir leben ewig, wir sind da! 2)
Ihr Lebenswille und ihre Energie sind der Triumph über Gewalt und Hass, über Antisemitismus und Menschenverachtung. Esther Bejarano zeigt als Überlebende des Holocaust diesen starken Lebenswillen. Für sie ist es legitim, auch nach Auschwitz dem Leben zu trauen und mit Freude zu leben.
Der Tod wird nicht das letzte Wort behalten
Die Zeugnisse von Maria von Magdala und von Esther Bejarano lassen meine Hoffnung wachsen, dass Gewalt und Tod nicht das letzte Wort behalten werden, dass der Mensch nicht für den Tod geschaffen ist. Beide Frauen haben vorgelebt, dass ein Trotzdem-auf-die-Zukunft-Vertrauen möglich ist.
Maria von Magdala hat den Ruf Jesu gehört. Das hat ihren Panzer der Trauer und Enttäuschung gesprengt. Seine Aufforderung „Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen …“ hat sie in die Tat umgesetzt. So ist sie die erste Verkünderin der Frohen Botschaft geworden. Das, wofür Jesus gelebt hat, ist nicht untergegangen. Bei ihr war es ein Ruf, der sie ins Herz getroffen hat, und sie war überzeugt, dass der Tod nicht das letzte Wort behalten wird.
Esther Bejarano hat trotz ihres Gefangenseins in der „Hölle von Auschwitz“ nicht aufgehört, an das Leben zu glauben. Sie sah es als ihre Aufgabe an, jungen Menschen die Wahrheit zu berichten und damit zur Überwindung von Gewalt beizutragen. Bei ihr war es der jahrzehntelange Kampf gegen Ungerechtigkeit und Verletzung der Menschenwürde mit dem sie zeigen wollte, dass der Tod nicht das letzte Wort behalten wird.
1) Poeplau Wolfgang, Wer die Erde liebt, Freiburg 1984, S. 18
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH, Freiburg i. Breisgau
2) Um die Intensität des Auftritts von Esther Bejarano spüren zu können, empfehle ich allen,
einen Konzertmitschnitt auf You Tube anzusehen und zu hören.