Impuls zum 21. Juli 2024
Von Susanne Warmuth (Aschaffenburg), Geistliche Beirätin von pax christi Würzburg
Was ist das Wichtigste der christlichen Botschaft?
Wenn man Menschen fragt, was die wichtigsten Aussagen des Christentums sind, dann kommen als Erstes folgende Antworten: den Nächsten beistehen – zuverlässig sein – Hilfsbereitschaft üben – sich einsetzen für Gerechtigkeit und Frieden. Das sind alles Aussagen, die wir unter den Begriffen Nächstenliebe und Einsatz für andere Menschen zusammenfassen können. Hohe moralische Forderungen werden zu Recht mit der christlichen Lehre verbunden.
Dass Gott uns Menschen bedingungslos annimmt – diese christliche Grund-Wahrheit wird meiner Erfahrung nach nicht so häufig erwähnt. Auch die Aufforderung zur Selbstliebe kommt erst an späterer Stelle.
Deshalb sind mir zwei Bibelstellen sehr wichtig, die die Bedeutung der Selbstachtung und der Selbstfürsorge explizit betonen. Der Besuch Jesu bei Martha und Maria mit seinem Lob für die Haltung von Maria. Und dann die Perikope vom heutigen Sonntag. Jesus erkennt die Erschöpfung der Apostel und fordert sie auf, sich auszuruhen.
Evangelium Mk 6,30 – 34
In jener Zeit versammelten sich die Apostel, die Jesus ausgesandt hatte, wieder bei ihm und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.
Einladung zu Ruhe und Erholung
Nach ihrem Wirken unter den Menschen kehren die Apostel zu Jesus zurück. Sie waren in seinem Auftrag unterwegs gewesen, aber jetzt sind sie erschöpft. Beim Evangelisten Markus heißt es: sie fanden noch nicht einmal Zeit zum Essen. Jesus hat Verständnis mit ihnen. Er prüft nicht nach, ob sie auch alles richtig erledigt haben, er mahnt nicht, dass dieses und jenes noch fertigzustellen sei - er lädt sie vielmehr ein, sich auszuruhen. Das kann uns zunächst überraschen. Denn sind wir nicht aus den Evangelien an Forderungen gewöhnt, an Ermahnungen, an den Aufruf, etwas zu tun und etwas zu ändern? Ja, es ist so: Die Texte
muten uns einiges zu und verlangen viel von uns.
Daneben gibt es aber auch diese Stelle, die oft wenig beachtet wird. Bei allem Einsatz, aller Verpflichtung zum Tun, bei allen notwenigen Forderungen - der Mensch darf sich nicht selbst vergessen. Im heutigen Evangelium wird es deutlich gesagt: der Gott, den Jesus verkündet, ist ein Gott, der es gut mit uns meint.
Dazu gehört auch die Botschaft, die Jesus immer wieder gelebt hat. Der Wert des Menschen hängt nicht von seiner Leistung ab. Guten Gewissens dürfen wir uns deshalb Zeit nehmen zum Ausruhen, zur Regeneration, zur Reflexion. Das ist ungewohnt und fällt oft schwer. Stille können viele nur schwer ertragen. Wir wollen ja keine Zeit vergeuden. Wir wollen nicht für bequem gehalten werden. Wir wollen den anderen und uns selbst beweisen, wie viel wir leisten können, wie empathisch und einsatzbereit wir sind.
Manchmal akzeptieren Menschen eine Erholung für sich, weil, sie wissen, dass sie danach wieder leistungsfähiger sind. Diesen Gedanken kenne ich gut. Aber da fehlt noch etwas Wichtiges. Die Berechtigung für eine Auszeit Ist viel elementarer. Ich darf ausruhen, weil ich wichtig bin, weil ich mir etwas gönnen darf. Weil mein Körper, mein Geist, meine Seele wertvoll sind und Ruhe brauchen. Dieser Sehnsucht darf und soll ich nachgehen ohne negativen Beigeschmack.
Der Hl. Bernhard von Clairvaux hat folgende Zeilen an Papst Eugen III geschrieben:
Wenn Du Dein ganzes Leben und Erleben
völlig ins Tätigsein verlegst
und keinen Raum mehr für die Besinnung
vorsiehst, soll ich Dich da loben?
Wie kannst Du voll und echt Mensch sein,
wenn Du dich selbst verloren hast?
Damit Deine Menschlichkeit allumfassend
und vollkommen sein kann,
mußt du also nicht nur für die anderen,
sondern auch für dich selbst
ein aufmerksames Herz haben.
Denk' also daran:
Gönne Dich Dir selbst.
Für sich selbst ein aufmerksames Herz haben - das bedeutet, dass ich auf mich höre und spüre, was jetzt angesagt und wichtig ist. Wenn ich aufmerksam bin, dann spüre ich, wann nach einem Einsatz Ruhe gefordert ist, wann auf die Anspannung Erholung nötig ist, dann kann ich auch entscheiden, ob gerade Kampf oder Kontemplation angesagt ist. Weil wir in unserer Gesellschaft eher dazu neigen, die Leistung und das Tätigsein zu sehr zu betonen, deshalb sollten wir uns heute die Zusage geben lassen: Stille, Besinnung, freie Zeit sind erlaubt und gut. Wenn ich mir selbst etwas Gutes tue, lobe ich damit meinen Schöpfer.
Ich muss zugeben: einen kleinen Widerstand spüre ich doch, wenn ich den Evangelien -Text zu Ende lese. Jesus fordert die Jünger auf, sich auszuruhen. Gilt es nicht auch für ihn? Markus schreibt, dass viele Menschen kamen, die Jesus sehen und hören wollten. Und er lehrte sie lange. Jesus unterbricht die Ruhe, die er zuvor den Aposteln geraten hatte. Ist das nicht ein Widerspruch?
Der Evangelist Markus hat sicher den Text mit einer gewissen Absicht komponiert. Sein Interesse war es wohl nicht, das Thema „Ruhe und Erholung“ zu behandeln. Vielmehr wollte er wohl ausdrücken, dass Jesus bei allen Gelegenheiten spürt, was die Menschen brauchen, dass er Mitleid empfinden kann und Barmherzigkeit zeigt. Und dass er ihnen das gibt, was sie gerade am Nötigsten brauchen. Bei den Aposteln war es die Aufforderung und Erlaubnis zur Ruhe. Bei den Menschen, die ihm gefolgt sind, spürte er die Sehnsucht und den Hunger nach Zuwendung und nach Brot. Beiden Gruppen – den Aposteln und denen, die ihn hören wollten – zeigt er durch seine Worte und Taten, dass Gott ein menschenfreundlicher Gott ist. Gott will die Menschen nicht überfordern.
Deshalb ist auch die Aufforderung zur Ruhe und zur Erholung in dieser Bibelstelle so wichtig. Sie verliert durch den zweiten Teil der heutigen Perikope für mich nicht an Bedeutung.
Lied / Kanon
Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden (Gl Nr.433,2)
Nachdenkenswert: Provokation oder neue Perspektive?
Ich erinnere mich an den „heißen“ Sommer 1983. Der NATO-Doppelbeschluss und seine Umsetzung in Europa wurden heiß diskutiert. Die Friedensbewegung erstarkte in dieser Zeit. Es gab große Demonstrationen gegen die Nachrüstung. Die Stimmung in der Bevölkerung war angespannt und polarisiert. In dieser Zeit fiel mir ein Gedicht in die Hände, das mich zunächst sehr irritierte, aber dann wie eine Wohltat wirkte.
Sommerfreiheit
manchmal
mit verlaub
gibt es zeiten
da ist
das liegen in der sonne
der geruch des regens nach langer trockenheit
die hitze des asphaltes unter den fußsohlen
das kühle bier im garten
die gewissheit von zwei wochen urlaub
wichtiger
entscheidender
und lebensnotwendiger
als
das diskutieren über den NATO-Doppelbeschluss
das erstellen von
intellektuellen gedankengebäuden
und die auseinandersetzung
mit allen übeln dieser welt
nach Johannes Rauch *
Wenn wir den „NATO-Doppelbeschluss“ durch „Migrationspolitik“ oder „Überwindung der aktuellen Kriege“ ersetzen, dann ist das Gedicht, das vor 40 Jahren geschrieben wurde, hochaktuell. Es ermutigt mich, mir Zeit zum Aufatmen und zum Genießen zu nehmen. Welche Freiheit ist da wieder zu spüren! Und zur „Beruhigung“: die meisten Probleme und Themen werden sich nicht von selbst während meiner Auszeit erledigt haben. Aber erholt sehe ich vielleicht deutlicher, wo ich mich einmischen und positionieren sollte.
* Trotz intensiver Recherche konnte ich keine Quellenangabe zu diesem Text finden.